Streit und Versöhnung – Märchen und Geschichten vom Miteinander.
Der November ist in Berlin traditionell Märchenzeit. Auch in diesem Jahr habe ich wieder an den Berliner Märchentagen teilgenommen. Gleich zweimal durfte ich vor die Klassen treten:
Der Tag beginnt in Biesdorf, genauer gesagt in der Fuchsberg-Grundschule. Nachdem wir schon ein Weilchen sitzen und wir miteinander warm geworden sind, klappe ich das erste Buch auf. Es heißt „Löwenherzen weinen nicht!“. Die ersten Seiten sind schnell vorgelesen. Mein Blick schweift in die Runde: „Soll ich weiterlesen?“ – „Jaaaaaaa!“
Die Zweitklässler der Fuchsberg-Grundschule in Biesdorf wollen wissen, ob es dem Krokodil gelingen werde, den Löwen zum Weinen zu bringen. Das Krokodil hatte schon viel versucht, den Helden zu Tränen zu rühren: Mitleid, Tod, Kitzeln. Nichts hatte geklappt. Es erzählte sogar eine Geschichte, die ein Schüler sofort als Abwandlung von Rotkäppchen reklamierte. Erst das Ende der Beziehung zur schönen und belesenen Löwin kann den König der Tiere schließlich zu Tränen rühren. Davon sind auch die zuhörenden Lehrer sichtlich gerührt. Und weil bis zur Pause noch etwas Zeit bleibt, lese ich den Kindern eine Passage aus dem dieses Jahr im Mittelpunkt stehenden Buch „Der Buchstaben-Fresser“ vor. Damit die Kids das Weiterlesen später selbst übernehmen können, liegt für jedes Kind ein eigenes Buch als Geschenk bereit. Es ist schön zu hören, dass viele der Biesdorfer Schüler zu Hause Märchen vorgelesen bekommen. Noch mehr Kinder lesen die Geschichten sogar selbst vor. Ein rundum gelungener Start in den Tag.
Anschließend geht es für mich weiter an die Grundschule am Hollerbusch in Hellersdorf. Auch dort erwartet die Kinder eine gemeinsame Märchenstunde. Die Zusammensetzung der Klasse unterscheidet sich merklich von der in der Fuchsberg-Grundschule. Es sind zu einem größeren Anteil auch Kinder aus Familien von Geflüchteten. Beim Vorlesen konnte ich erleben, wie gut hier die sprachliche Integration gelingt. Wie sich im Gespräch mit den Kids zeigt, ist die Anzahl der Kinder, denen vorgelesen wird in diesem Fall niedriger als in Biesdorf. Aber die Lust am eigenen Vorlesen ist deutlich spürbar und mindestens genauso groß. Am Hollerbusch lese ich zunächst die Geschichte von „Kaisersohn und Schustersohn“ vor. Dieses Mal entscheide ich mich für eine neuen Ansatz und frage die Kinder, was sie aus der Geschichte lernen können. Die Antworten sind scharfsinnig und folgen auf dem Fuße. Es geht jeweils die verschiedenen Aspekte des Zusammenlebens und das wertvolle Thema Freundschaft. Um Freundschaft geht es dann auch in der zweiten Geschichte. Sie erzählt von einem kleinen Bären, der durch das Finden eines Freundes seinen Wohnsitz wechselt. Und es bleibt kein Zweifel offen: Die Kids haben die Moral der Geschichte sofort erfasst. Es geht um das komplexe Zusammenspiel von Beziehungen und Entscheidungsfreudigkeit.
Märchen, Lesen und Vorlesen sind in vielerlei Hinsicht wertvoll. Deshalb unterstütze ich seit vielen Jahren verschiedene Initiativen. Auch für Senioren ist das Thema von großer Bedeutung: Mit Märchen und dem damit verbundenen Training des Gedächtnisses kann Demenz wirksam behandelt werden.
Derzeit findet auch der Bundesweite Vorlesetag statt. Zusammen mit den Berliner Märchentagen fällt er jährlich auf denselben Zeitraum. Beide werden mit viel Herzblut von kleinen Teams organisiert, die in diesen wenigen Tagen bis zu 550 Veranstaltungen koordinieren. Für diesen Einsatz und das Engagement kann es gar nicht genug Danksagung geben. Ich freue mich sehr, auch in diesem Jahr wieder Teil der reibungslos durchorganisierten Aktion gewesen zu sein. Das Lachen und das Strahlen in den Augen der Kinder ist die beste Einstimmung auf die bevorstehende Weihnachtszeit.
Schreibe einen Kommentar